Notwehr ist kein Freibrief zur Gewalt, sondern ein gesetzlich geregeltes Recht auf Verteidigung. Doch wann ist sie gerechtfertigt, und wo liegen ihre Grenzen?
Die rechtlichen Grundlagen der Notwehr
Das österreichische Strafgesetzbuch (StGB) regelt die Notwehr in § 3 StGB. Danach handelt nicht rechtswidrig, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen abzuwehren.
Diese Bestimmung dient dem Schutz individueller Rechtsgüter und gibt dem Angegriffenen das Recht, sich zu verteidigen, allerdings nur in jenem Maß, das erforderlich ist, um den Angriff sofort und endgültig zu stoppen. § 3 Abs 2 StGB regelt die Rechtsfolgen einer Notwehrüberschreitung. Eine solche Überschreitung liegt vor, wenn die Abwehrhandlung über das notwendige Maß hinausgeht, insbesondere wenn eine weniger einschneidende Verteidigungsmöglichkeit bestand, die den Angriff ebenso wirksam beendet hätte.
Grenzen der Notwehr – wann ist Verteidigung unangemessen?
Die Notwehr darf nicht außer Verhältnis zum Angriff stehen. Das bedeutet, dass eine übermäßige oder unnötig harte Reaktion unzulässig ist, insbesondere dann, wenn dem Angegriffenen nur ein geringer Nachteil droht oder wenn der Angriff bereits beendet ist.

OGH-Urteil zur Notwehr – Wann ist ein Faustschlag gerechtfertigt?
Ein praxisnahes Beispiel liefert das Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH 1 Ob 137/24i vom 09.10.2024). Zwei Bekannte trafen zufällig aufeinander. Einer von ihnen war stark alkoholisiert und begann, den anderen zu provozieren, zu schubsen und zu schlagen. Als er versuchte, seinem Bekannten eine Ohrfeige zu verpassen, schlug dieser mit der Faust ins Gesicht, was jedoch ohne ernste Folgen blieb. Da der Angreifer weiterhin versuchte zuzuschlagen, lief der Angegriffene zunächst weg. Als er jedoch merkte, dass er verfolgt wurde, drehte er sich um und versetzte dem Angreifer einen stärkeren Faustschlag ins Gesicht, wodurch dieser sich eine Fraktur zuzog.
Das Erstgericht sah in diesem Fall eine rechtmäßige Notwehrhandlung, während das Berufungsgericht von einer Überschreitung der Notwehr ausging. Der OGH bestätigte letztlich die Ansicht des Erstgerichts, weil der Angreifer körperlich überlegen war, der Angegriffene bereits durch Flucht versucht hatte, sich der Situation zu entziehen, und der erste, leichtere Faustschlag nicht ausgereicht hatte, um den Angriff zu stoppen. Die Entscheidung verdeutlicht, dass eine Notwehrhandlung auch dann gerechtfertigt sein kann, wenn sie sich im ersten Moment drastisch anhört. Entscheidend ist stets, ob sie notwendig war und keine schonendere Alternative bestand.
Notwehr und ihre Folgen – wann drohen rechtliche Konsequenzen?
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Notwehrüberschreitung nach § 3 Abs 2 StGB. Wer eine unangemessene Verteidigung wählt, muss unter Umständen mit rechtlichen Konsequenzen rechnen. Die Gerichte prüfen in jedem Fall individuell, ob eine Verteidigung tatsächlich erforderlich war oder ob mildere Mittel ausgereicht hätten.
Nicht jede gewaltsame Abwehr ist automatisch Notwehr. Wer sich in einer Gefahrensituation befindet, sollte daher nach Möglichkeit das mildeste Mittel zur Verteidigung wählen. Wer vorschnell zur Waffe greift oder übertriebene Gewalt anwendet, kann sich schnell selbst strafbar machen. Ebenso ist zu beachten, dass Notwehr grundsätzlich nur dann zulässig ist, wenn der Angriff gegenwärtig oder unmittelbar drohend ist. Eine Vergeltungsmaßnahme nach Beendigung eines Angriffs ist keine Notwehr mehr, sondern eine strafbare Handlung.
Fazit – Selbstverteidigung ist erlaubt, aber nicht schrankenlos
Notwehr ist ein wichtiges Recht, das den Schutz vor rechtswidrigen Angriffen ermöglicht. Dennoch darf sie nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen ausgeübt werden. Entscheidend ist, dass die Abwehr notwendig und verhältnismäßig ist. Wer sich im Rahmen des § 3 StGB bewegt, kann sich auf das Recht der Notwehr berufen. Wer jedoch über das erforderliche Maß hinausgeht, riskiert eine Notwehrüberschreitung und damit rechtliche Konsequenzen.
Autorin: Alina Prochaska LL.M., 20.02.2025
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